Krach im Bistum Chur: Deutscher Bestsellerautor wegen Antisemitismusvorwürfen und AfD-Nähe ausgeladen – jetzt droht ein Rechtsstreit

Neue Zürcher Zeitung. Der Chef der Degussa Goldhandel GmbH, Markus Krall, hätte bei einer kirchlichen Veranstaltung im Bistum Chur einen Vortrag halten sollen. Weil er rechtsradikal sein soll, kam es zu Turbulenzen.

Markus Krall ist definitiv ein Mann, der etwas zu sagen hat. Zum einen ist er als CEO der Degussa Goldhandel GmbH mit Sitz in München ein bekannter Manager. Zum anderen hat er mehrere Bestseller geschrieben. In diesen befasst er sich aus rechtslibertärer Optik mit wirtschaftlichen Crash-Szenarien und umstrittenen gesellschaftspolitischen Forderungen. Sein bekanntestes Werk ist «Der Draghi-Crash».

Der 60 Jahre alte Manager ist Katholik und sorgt mit seinen Thesen zur christlichen Gesellschaftsordnung immer wieder für Aufsehen. Krall ist Mitglied des für seine konservativen Ansichten bekannten päpstlichen Ritterordens vom Heiligen Grab. Der Verankerung in diesem Milieu dürfte er die Einladung als Gastreferent für die Vollversammlung des Dekanats des Bistums Chur zu verdanken haben.

«Intellektueller Krawallmacher»

Doch Krall wurde am letzten Mittwoch daran gehindert, seinen Vortrag mit dem Titel «Fünf Säulen zum Erhalt einer freiheitlich-christlichen Gesellschaftsordnung» zu halten. Kurz vor der Versammlung wurde der prominente Redner nämlich ausgeladen. Auslöser für den Rauswurf war eine Intervention von Professor Christian Cebulj, dem Rektor der Theologischen Hochschule Chur, wie das Portal kath.ch berichtet hat.

Die Vorwürfe, mit denen Cebulj an die Dekanatsleitung gelangte, sind happig. In der «Zeit Online» behauptete Cebulj, Krall sei «massgeblich an der Finanzierung der rechtsradikalen AfD in Deutschland beteiligt». «Er sympathisiert mit Verschwörungstheorien, muss sich den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen, will die Kirchensteuer ebenso wie die parlamentarische Demokratie abschaffen und bezeichnet sich auf Twitter gerne als intellektuellen Krawallmacher», hielt der Hochschulrektor fest.

Cebulj hielt es für seine politische und theologische Pflicht, den Dekan darauf hinzuweisen, «dass ein Redner mit solch reaktionären Positionen nichts auf einer Dekanatsversammlung verloren hat». Der Rektor der Theologischen Hochschule Chur war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Dieses «Sündenregister» verfehlte seine Wirkung nicht. Jürg Stuker, der Generalvikar des Bistums Chur, lud den offenbar unerwünschten Gast wieder aus. Zusätzliche Munition für den Entscheid der Organisatoren lieferte kath.ch, das bevorzugt rechtskonservative Tendenzen in der katholischen Kirche aufs Korn nimmt.

Das Portal kontaktierte Michael Blume, den Beauftragten gegen Antisemitismus der Landesregierung von Baden-Württemberg. Dieser erklärte: «Markus Krall verbreitete Verschwörungsmythen über eine angebliche Kulturmarxismus-Weltverschwörung der deutsch-jüdischen Frankfurter Schule.» Blume schrieb 2021 in der «Zeit Online»: «Krall verstieg sich dann zu dem Vergleich, wie die Nazis als ‹nationale Sozialisten› strebe die ‹Frankfurter Schule› dabei nicht weniger als die langfristige ‹Erosion der Institutionen› und die Zerstörung des ‹liberalen Systems› an.»

Spenden an katholische Kirche statt AfD

Im Gespräch mit der NZZ bestreitet Krall, jemals die AfD finanziert zu haben. «Von mir hat die Partei noch nie auch nur einen Euro bekommen. Ich beschränke meine Spendentätigkeit auf die katholische Kirche.» Vorträge hat Krall bei der AfD schon gehalten. Aber das habe er bei allen Parteien mit Ausnahme von den Linken gemacht.

Dass er als Antisemit hingestellt werde, treffe ihn schwer, sagt Krall. «Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf, eine schwere Beleidigung.» Er sei schon Dutzende Male in Israel gewesen und habe sich stets für dessen Existenzrecht eingesetzt, er habe sich immer für das jüdische Leben interessiert und jüdische Institutionen ebenso wie den Verein gegen das Vergessen des Holocaust finanziell unterstützt.

Die Antisemitismusvorwürfe seien entsprechend völlig konstruiert. Sie basieren vor allem auf der kritischen Haltung von Krall gegenüber der Frankfurter Schule, deren «Kulturmarxismus» er ablehnt. Seine Missbilligung habe aber nichts damit zu tun, dass führende Köpfe der Frankfurter Schule wie Max Horkheimer oder Theodor W. Adorno jüdische Wurzeln gehabt hätten. «Und ich behaupte keineswegs, dass es sich dabei um eine ‹Weltverschwörung› handelt. Sondern ich kritisiere das politische Programm.»

Krall bezeichnet sich als Antisozialisten, denn aus seiner Sicht bedeutet Sozialismus Unfreiheit. Ganz anders als das christlich-freiheitliche Weltbild, das er vertrete. «Es basiert auf dem Individuum und nicht auf der Masse, auf dem Eigentum, ohne dass wir immer in Abhängigkeit leben, und auf der Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft.» Die Corona-Massnahmen der deutschen Regierung hat Krall kritisiert, weil er sie nicht für evidenzbasiert hält. «Daraus haben gewisse Leute zu Unrecht böswillig gefolgert, ich sei ein Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker und das sei ein ‹antisemitisches Narrativ›.»

Dass er vom Vortrag wieder ausgeladen worden sei, habe ihn nicht gestört, sagt Krall. «Ich habe als CEO eines Unternehmens genug zu tun, ich wollte mich niemandem aufdrängen.» Aber dass er medial durch den Kakao gezogen worden sei, könne er nicht auf sich sitzen lassen. Bischof Joseph Maria Bonnemain habe ihm sein Bedauern über den Vorgang ausgedrückt. Beim Bistum Chur bestätigt man, dass es ein Telefongespräch zwischen dem Bischof und Krall gegeben habe.

Bischöfe sollen Druck machen

Aber Krall erwartet von kath.ch, dass das Portal die Meldung über ihn korrigiert. «Das war Rufmord. Man hätte mich einfach anrufen können, dann hätte ich aufzeigen können, dass diese Vorwürfe Falschinformationen sind.» Besonders stört ihn die französische Übersetzung des Textes auf cath.ch. Dort wird Krall schon im Titel als «complotiste allemand», als «deutscher Verschwörungstheoretiker», bezeichnet.

Sollte die Redaktion seiner Forderung nicht nachkommen, müsste die Bischofskonferenz Druck auf ihr Portal machen, findet Krall. Falls das nichts fruchtet, behält sich Krall rechtliche Schritte vor. Diese würden sich gegebenenfalls gegen das Portal kath.ch und die Autoren richten, die dort falsche Behauptungen über ihn verbreitet hätten.

Raphael Rauch, Redaktionsleiter von kath.ch, bewahrt derweil ruhig Blut. «Mit Michael Blume und Christian Cebulj verfügen wir über sehr glaubwürdige Kronzeugen für unsere Artikel», erklärt er auf Anfrage der NZZ. Ihre Aussagen, auf die sich kath.ch gestützt habe, «seien wissenschaftlich untermauert». «Einer allfälligen Einsprache oder einer Beschwerde beim Presserat sehen wir deshalb gelassen entgegen», betont Rauch.