Tages-Anzeiger. Obwohl sogar Europol vor der rechtsextremen Gruppierung warnt, machen Schweizer Behörden wenig. Die Neonazis zeigen sich unbeeindruckt und planen weitere Aktionen.
Ihr Logo ist die germanische Tyr-Rune, die Hitlers «Führernachwuchs» oberhalb der Hakenkreuz-Armbinde trug. Ihr Gedankengut umfasst offenen Rassen- und Genderhass bis hin zu Judenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien wie dem angeblichen Bevölkerungsaustausch.
Die Junge Tat ist erst zwei Jahre alt, sie ging aus den Gruppierungen Eisenjugend und Nationalistische Jugend hervor. Ihr Name sei ein «Spontaneinfall» gewesen, «der den Kern unserer Gruppe perfekt repräsentierte». Das sagten die Anführer – der Winterthurer Manuel C. und der Luzerner Tobias L. – kürzlich in einer öffentlichen «Fragestunde» auf einem sozialen Netzwerk.
Dort behaupteten sie auch, dass die Junge Tat in der ganzen Schweiz aktiv sei. Später räumten sie ein, in der Romandie nicht vertreten zu sein. Bei Interesse könnten sie dort aber den Kontakt zu «Patrioten» herstellen, ebenso jenen zu «gleichgesinnten Aktivisten» in Deutschland.
Vorschlaghammer und Hakenkreuze
Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen fiel die Junge Tat in den vergangenen zwei Jahren auf, wie diese Zeitung berichtete. So schaltete sie sich etwa zu einer Onlineveranstaltung der Jüdischen Liberalen Gemeinde in Zürich zu und blendete Bilder von Hitler und Hakenkreuzen ein.
Bei Hausdurchsuchungen im August 2020 und im Januar 2021 beschlagnahmte die Polizei bei Manuel C. und weiteren Mitstreitern mehrere Schusswaffen. Die Staatsanwaltschaft schrieb, dass der Winterthurer Anführer «die Ideologie des Nationalsozialismus verbreitete sowie Juden und dunkelhäutige Menschen diskriminierte, indem er sie in ihrer Menschenwürde krass herabsetzte und Hass gegen sie schürte».
Drei Jahre Haft möglich
Dennoch kamen Manuel C. und vier weitere Angeklagte mit bedingten Geldstrafen bei einer Probezeit von zwei Jahren davon. Dabei sieht die im Jahr 1994 geschaffene Rassismusstrafnorm bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe für jene vor, die zu Hass und Diskriminierung aufrufen, Propagandaaktionen durchführen oder diskriminierende Inhalte verbreiten.
Die Konsequenzen dürften die Rechtsextremen wenig beeindruckt haben. Denn sie führten weitere Störaktionen durch, darunter gegen einen Pride-Gottesdienst in Zürich und zuletzt gegen eine Dragqueen-Märchenstunde im Zürcher Tanzhaus. Warum unterbinden die Sicherheitsbehörden dies nicht?
Gesetzliche Schranken
Stadt- und Kantonspolizei Zürich erklären sich bei dem heiklen Thema für nicht zuständig und verweisen unisono auf die Bundespolizei. Diese spielt den Ball zurück und weiter. Fedpol-Sprecherin Berina Repesa erklärt, dass «in erster Linie die kantonalen Strafverfolgungsbehörden Widerhandlungen» gegen die Rassismusstrafnorm nachgehen und strafrechtlich festgestellte Delikte verfolgen. Daneben befasse sich der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mit der Früherkennung und Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus.
Dort heisst es auf Anfrage, dem Handlungsspielraum des NDB seien «klare Schranken gesetzt». Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben könne der Nachrichtendienst ausschliesslich gegen gewalttätigen Extremismus vorgehen. «Damit der NDB präventiv tätig werden kann, reicht ein ideologischer oder politischer Hintergrund von Personen – beispielsweise Neonazis oder Anarchisten –, Organisationen oder anstehenden Ereignissen nicht aus», sagt Sprecherin Carole Wälti.
Ausschlaggebend hierfür wären «tatsächliche Gewaltbezüge», das heisst das Verüben, Fördern oder Befürworten von Gewalt, also der konkrete Aufruf zur Gewaltanwendung. Konkret zur Jungen Tat äussert sich der NDB auf Anfrage nicht.
Konsequent gewaltfrei?
Manuel C. und Tobias L. behaupten in einem kürzlich erschienenen Video, ihre Gruppierung sei «stets und konsequent gewaltfrei» gewesen. Bei Angriffen von linksradikaler Seite seien sie immer nur defensiv gewesen. Der Extremismusforscher Dirk Baier widerspricht. «Es stimmt nicht, dass sie nur reaktiv gewalttätig werden», sagte er «20 Minuten».
Auch ein aggressives Auftreten als Gruppe, die Androhung von Gewalt oder der Einsatz von Pyros, beispielsweise bei der Störung der Dragqueen-Lesestunde in Zürich, sind laut Baier Formen von Gewalt. Ausserdem liegen unter anderem gegen Manuel C. Urteile wegen illegalen Waffenbesitzes vor. «Das zeigt, dass sie eine Gewaltbereitschaft aufweisen», sagt der Extremismusexperte.
Nazi «a good person»
Ähnlich sieht dies der Journalist und Luzerner Kantonsrat Hans Stutz (Grüne), der sich seit den 80er-Jahren mit Rechtsextremismus beschäftigt. «Es ist bekannt, dass Mitglieder der Jungen Tat mit Kalaschnikows posiert haben. Das martialische Gehabe entspricht der Tradition rechtsextremer Gruppierungen, die Gewalt als mögliche Aktionsform ansehen», sagt er.
Er nimmt den beiden Anführern Manuel C. und Tobias L. auch nicht ihre kürzlich per Video verbreitete Distanzierung von Rechtsextremismus, Nationalsozialismus und anderen totalitären Ideologien ab. Das sei reines Kalkül. «Sie haben eindeutig nationalsozialistische Botschaften verbreitet. Wenn sie keine Nationalsozialisten sind, dann in jedem Fall Rechtsextremisten», sagt Stutz und erinnert an den 20. April 2020, der bei Neonazis ein beliebtes Datum für Aktionen und Feiern sei.
Ausgerechnet am 131. Jahrestag von Hitlers Geburt störte Manuel C. mit Mitstreitern eine Onlinevorlesung der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK), mit Hitler-Rufen. Sie behaupteten zudem, ein Nazi sei «a good person». Manuel C. war damals an der ZHDK als Student eingeschrieben.
Er meinte in der «Fragestunde» in einem sozialen Netzwerk, seine Gruppierung habe in der Vergangenheit «diverse (…) Anfangsfehler» gemacht. «Die Taten verurteilen wir mittlerweile.» Auf Anfragen dieser Zeitung reagierte die Junge Tat bisher nicht.
Gruppierung für Europol beispielhaft
Zumindest die Bundespolizei (Fedpol) dürfte die Junge Tat auf dem Radar haben. Sie informierte Europol, die oberste Polizeibehörde der Europäischen Union, über die Aktivitäten der Gruppierung. «Die Schweiz meldet, dass die neue rechtsextreme Gruppe Junge Tat eine öffentliche Kommunikationsstrategie in den sozialen Medien betreibt, die in ihrer rechtsextremistischen Szene bisher beispiellos ist», heisst es im Europol-Bericht «Terrorism Threat Situation and Trend Report 2022».
Anders als Fedpol und NDB nennt die EU-Polizeibehörde die Junge Tat beim Namen und als Beispiel, wie rechtsextremistische Gruppen in Europa soziale Netzwerke und Medien «nahezu professionell» einsetzen. Gleichzeitig stellt sie ein sinkendes Alter bei jenen fest, die rechtsextremer Propaganda ausgesetzt sind. «Die Radikalisierung sehr junger, oft noch minderjähriger Männer sieht Europol mit grosser Sorge», heisst es im Bericht. Zuerst würde eine weniger aggressive Form der Propaganda angewendet, und wenn die Zielperson Interesse zeige, würden extremistischere Inhalte thematisiert.
Bestimmte Leute würden sich dieser Szene wegen ihrer Faszination für Waffen, militärisches Training, Selbstverteidigung und Überlebenstechniken anschliessen. Viele der sehr jungen Männer, die Europol laut eigenen Angaben in rechten Online-Communitys beobachtet, leben noch bei ihren Eltern oder gehen zur Schule. Als gemeinsame Merkmale stellte die EU-Polizeibehörde psychologische Probleme sowie Schwierigkeiten bei der sozialen Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen fest. Unter diesem Gesichtspunkt könnten rechtsextreme Onlinenetzwerke ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit vermitteln.
Tobias L. und Manuel C. schreiben in ihrer «Fragestunde», viele in ihrer Gruppierung hätten bereits im Elternhaus eine «gesunde Einstellung» mitbekommen, «die massgeblich zu unserer Politisierung beigetragen hat».
Plädoyer für mehr Zivilgesellschaft
Journalist Hans Stutz sagt, der Historiker Damir Skenderovic habe in der NZZ zu Recht festgestellt, dass die Schweizer Gesellschaft «sehr wenig» über Rechtsextreme wisse. «Man will sich damit nicht beschäftigen, vor allem Bürgerliche weichen diesem Thema wenn immer möglich aus.»
Dennoch brauche es keine Stärkung des Nachrichtendienstes – denn selbst der repressivste Staat könne nicht alles verhindern. «Und es wäre auch nicht erstrebenswert, in solch repressiven Staaten zu leben», sagt Stutz.
Schweizer Dokumentationsarchiv?
Stattdessen plädiert er für eine Stärkung der Zivilgesellschaft. «Es gibt zum Rechtsextremismus eine eklatante Forschungslücke, deshalb braucht es mehr Anstrengungen von Unis und Hochschulen, über zeitgenössischen Rechtsextremismus zu forschen», sagt Stutz.
Und es brauche in der Schweiz zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands in Wien. Seit den 1970er-Jahren wertet die Stiftung Informationen über Rechtsextremismus und viele weitere verwandte Themen wissenschaftlich aus und macht sie für alle abrufbar – «egal ob aus persönlichem, beruflichem oder journalistischem Interesse», sagt Stutz.
Die Junge Tat macht derweil weiter: Für Anfang Dezember plant sie eine weitere «körperliche Ertüchtigung» – also Wanderung –, diesmal im Kanton Bern. Wie in der Vergangenheit auch könnten dafür erneut befreundete Neonazis und Identitäre aus Deutschland und Österreich anreisen.