20 Minuten. Mitglieder der Jungen Tat präsentieren sich auf Social Media als Naturfreunde und Aktivisten. Experten erklären, wie gefährlich die rechtsextreme Gruppierung ist.
Darum gehts
- Gemäss Experten haben sie Verbindungen zu Alt-Nazis und sind gewaltbereit: Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat zeigen sich vermehrt in der Öffentlichkeit.
- «In einer stabilen Demokratie darf es keinen Platz für solche Gruppierungen geben. Dass wir das trotzdem zulassen, deutet auf eine Schwäche der Demokratie hin», sagt eine Historikerin.
Sie gehen wandern, treiben Sport und bezeichnen sich auf Social Media als Aktivisten, die sich unter anderem für eine gesunde und intakte Familie sowie ein positives Geschlechterverständnis einsetzen: Experten erklären, was hinter der rechtsextremen Gruppierung Junge Tat steckt und wie gefährlich die Mitglieder sind.
Von der Eisenjugend zur Jungen Tat
«Die Junge Tat ist aus anderen rechten Gruppierungen wie der Eisenjugend hervorgegangen. Die Anzahl der Mitglieder schätze ich im unteren zweistelligen Bereich», erklärt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW. Die Umbenennung könne eine Art Versteckspiel sein, um die Strafverfolgungsbehörden zu verwirren. Denkbar sei auch, dass bewusst ein Namenswechsel vollzogen wurde, weil Eisenjugend etwas zu stark an die nationalsozialistische Terminologie denken lässt und für mögliche Sympathisanten abschreckend wirkt: «Junge Tat klingt weniger einschlägig und betont das Aktionselement, was gerade junge Männer attraktiv finden dürften», so Baier. «Das Rebranding bedeutet nicht, dass die Mitglieder plötzlich von strammen Neonazis zu Demokratiefreunden wurden», sagt Lothar Janssen, Präsident des Schweizer Instituts für Gewaltfragen. Hinter dem unschuldig klingenden Namen stehe weiterhin ein gewaltbereiter Kern. Gemäss der «SonntagsZeitung» beobachtet der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) die Gruppe seit längerer Zeit. Das Gewaltpotenzial der Szene sei seit 2020 gestiegen.
Vorbestraft und polizeibekannt
Auf den Online-Plattformen «Barrikade.info» und «Nazifrei.org» wurden die Mitglieder geoutet. Eine wichtige Rolle in der Gruppe spielt Manuel C.* Der 22-Jährige ist 2020 von der Hochschule der Künste Zürich (ZHdK) geflogen, weil er dort rechtsradikales Gedankengut verbreitet haben soll. Wegen Hinweisen auf illegalen Waffenbesitz führte die Polizei im Sommer 2020 bei ihm eine Hausdurchsuchung durch – und wurde fündig, wie die «SonntagsZeitung» kürzlich berichtete. Nach einem Hackerangriff auf eine jüdische Kulturveranstaltung im Januar 2021 erhielt C. wieder Besuch von der Polizei. Er und fünf weitere Personen wurden festgenommen und später wegen Rassendiskriminierung, Vergehen gegen das Waffengesetz und Sachbeschädigung zu bedingten Geldstrafen verurteilt.
Verbindungen zu Alt-Nazis
Ein geheimes Netzwerk, welches sich durch die ganze Schweiz bis ins Ausland zieht, zeigt gemäss Tamedia-Recherchen Verbindungen zu älteren Neonazigruppen wie Blood & Honour oder Eisern Luzern. «Ich gehe davon aus, dass Verbindungen zu den Alt-Nazis bestehen. Es ist aber unklar, wie stark sie tatsächlich auf die Aktivitäten der Jungen Tat einwirken», sagt Baier. Eine Frage sei, was nach der Auflösung der PNOS in der Schweiz aus deren Mitgliedern geworden ist. Gleiches gelte für rechtsextreme Gruppierungen, die in Deutschland verboten wurden: «Hier ist durchaus denkbar, dass sich einzelne Mitglieder in der Schweiz niedergelassen haben und hier zu den Aktivitäten rechter Gruppen beitragen.»
Öffentliche Darstellung ein Alarmzeichen
Mitglieder der Jungen Tat dokumentieren regelmässig ihre Aktionen auf Social Media. So auch nach ihrer jüngsten Aktion in Zürich, als sie vermummt bei einer Dragqueen-Lesestunde für Kinder Rauchfackeln zündeten und Parolen riefen. «Wir sind zwei Aktivisten von der Jungen Tat. Wir setzen uns für eine gesunde und intakte Familie sowie ein positives Geschlechterverständnis ein und kritisieren die Gender-Ideologie und den woken Wahnsinn», sagen zwei Mitglieder in einem Video auf Instagram. Gemäss Baier will die Gruppe damit das eigene Tun so verkaufen, als handle es sich um eine legitime Form des politischen Protests. Dabei werde ausgeblendet, dass eine demokratie- und menschenfeindliche Ideologie verfolgt wird. Dass die Junge Tat sich in der Öffentlichkeit einen solchen Platz schaffen konnte, ist laut Historikerin Hannah Einhaus ein Alarmzeichen: «In einer stabilen Demokratie darf es keinen Platz für solche Gruppierungen geben. Dass wir das trotzdem zulassen, deutet auf eine Schwäche der Demokratie hin.»
Nicht als Neonazis erkennbar
«Es entspricht dem Zeitgeist, dass radikale Gruppierungen, gerade in der rechtsradikalen Szene, sich vom äusseren Erscheinungsbild her nicht mehr stark von der restlichen Bevölkerung unterscheiden», sagt Serena Gut von der Winterthurer Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention. Dies bestätigt auch Janssen: «Die Mitglieder fallen auf den ersten Blick nicht als Neonazis auf.» Erst bei Bekenneraktionen werde dem Umfeld bewusst, dass es sich um einen Neonazi handelt. Der Mut, sich unvermummt zu zeigen, sei eine Art Radikalisierung: «Es wird damit symbolisiert: Ich stehe zu meiner Meinung und lasse mich nicht mehr verbiegen.» Dieses Selbstbewusstsein stütze sich auf eine breiter werdende Unterstützung aus der Bevölkerung, die insbesondere in Krisenzeiten zunehme. «Diese Entwicklung ist extrem gefährlich, denn die Ziele solcher Organisationen sind nicht mit unserem demokratischen System vereinbar», so Janssen.
*Name der Redaktion bekannt