Tages-Anzeiger.
Streit um Sammlung. Antworten auf die drängendsten Fragen im Bührle-Komplex.
Kurz nach der Weihnachtspause hat sich SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch in einem Interview mit der NZZ zum Kunsthaus und zum Streit um die Bildersammlung des Waffenfabrikanten Emil G. Bührle gemeldet. Sie verspricht, dass nun die zentralen Probleme angepackt würden, kritisiert das Kunsthaus für sein «reaktives» Verhalten und spricht von einem vorzeitigen Wechsel des Bührle-Dossiers von Kunsthaus-Direktor Christoph Becker zu seiner Nachfolgerin Ann Demeester. Der Konflikt erhält damit eine weitere Wendung. Was bisher geschah und was noch zu erwarten ist.
— Warum steht die Sammlung der Bührle-Stiftung in der Kritik?
Kritisiert wird einerseits der Sammler Emil G. Bührle, der mit Waffenexporten an Nazi-Deutschland zum reichsten Mann der Schweiz wurde. Zum andern wird daran gezweifelt, dass er alle Bilder, die zum Teil aus jüdischem Vorbesitz stammen, rechtmässig erworben hat. Hier geht es primär um den Vorwurf, dass die Verkäufer damals von Bührle übervorteilt worden seien und sie eventuell aus Not verkaufen mussten.
— Wer hat die Herkunft der Bilder bisher untersucht?
Lukas Gloor, Direktor der Bührle-Stiftung, hat die Provenienzen aller Bilder der Stiftung recherchiert und publiziert. Er erklärte an der Kunsthaus-Pressekonferenz vom 15. Dezember 2021, dass es in der Sammlung kein Raubgut, kein Fluchtgut und keine durch NS-Verfolgung bedingte Verluste gebe. Das wird von Kritikern wie Guido Magnaguagno, dem ehemaligen Vizedirektor des Kunsthauses Zürich, bestritten.
— Weswegen wird das Kunsthaus kritisiert?
Es hat sich bis vor kurzem voll und ganz auf die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung verlassen, der zwar hohe Professionalität bescheinigt wird, die aber nicht als unabhängig bezeichnet werden kann. Und der Dokumentationsraum, den das Kunsthaus im Chipperfield-Neubau gestaltet hat, wird von linken Historikern und jüdischen Kreisen kritisiert.
— Nimmt das Kunsthaus seine Kritiker ernst?
Widerwillig. An der Pressekonferenz vom 15. Dezember haben die Verantwortlichen des Kunsthauses und der Bührle-Stiftung primär die bestehende Provenienzforschung und den Dokumentationsraum gerechtfertigt. Die Pressekonferenz geriet zum Skandal, weil der Präsident der Bührle-Stiftung, Alexander Jolles, Äusserungen machte, die den Antisemitismus verharmloste, dem die Juden in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs ausgesetzt waren. Noch grössere Wellen warf die Bemerkung von Kunsthausdirektor Christoph Becker, wonach er sich mit dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, über die Gestaltung des Dokumentationsraums abgesprochen habe. Lauder liess über seinen Zürcher Anwalt verlauten, dass er nie wegen dieses Dokumentationsraums konsultiert worden sei oder dazu sein Einverständnis gegeben habe.
— Wie reagiert die jüdische Community?
Die Äusserungen von Alexander Jolles und Christoph Becker haben laut der jüdischen Zeitung «Tachles» dazu geführt, dass mehrere Personen ihre Mitgliedschaft bei der Zürcher Kunstgesellschaft und der Gesellschaft Kunstfreunde Zürich gekündigt haben. Sie hätten ihren Rücktritt begründet und nur einen «nüchternen formalen Brief ohne Eintreten auf die Sache» vom Kunsthaus erhalten.
— Welche Rolle spielt Museumsdirektor Christoph Becker?
Er hat es versäumt, die Bührle-Bilder unabhängig prüfen zu lassen und dem Dokumentationsraum eine kritische Schärfe zu geben. Im Umgang mit seinen Kritikern fehlte ihm das politische Fingerspitzengefühl, das es braucht, wenn man eine Sammlung eines derart umstrittenen Industriellen, wie Bührle es war, in die Obhut eines öffentlichen Museums nehmen will.
— Wird Becker nun vorzeitig zurücktreten müssen?
Seine Amtszeit läuft regulär bis Ende 2022. Im Interview mit der NZZ sagt Stadtpräsidentin Corine Mauch, dass sie es begrüssen würde, wenn das Dossier Bührle möglichst bald an Beckers Nachfolgerin Ann Demeester weitergereicht würde. Das muss nicht, kann aber sehr wohl einen vorzeitigen Rücktritt bedeuten.
— Wer ist Ann Demeester?
Die gebürtige Belgierin (* 1975) ist seit sieben Jahren Direktorin des Frans-Hals-Museums in Haarlem (Niederlande). Sie wurde im letzten Sommer zur Direktorin des Kunsthauses Zürich gewählt und beginnt ihre Arbeit in Zürich sukzessive ab Februar. Zuerst wird sie eine Woche pro Monat hier sein, ab Juli ist sie dann zu hundert Prozent in der Stadt.
— Ist Stadtpräsidentin Corine Mauch mitschuldig an der Misere?
Sie legt sich, nachdem sie lange geschwiegen hat, nun ins Zeug, um die Probleme im Kunsthaus in den Griff zu bekommen. In der NZZ sagt sie, dass die missglückte Pressekonferenz von Kunsthaus und Bührle-Stiftung vom 15. Dezember «kontraproduktiv» war.
— Wie will sie das Kunsthaus wieder auf Vordermann bringen?
Sie setzt sich dafür ein, dass der Leihvertrag zwischen Kunsthaus und Bührle-Stiftung öffentlich gemacht wird. Das soll, wie auch schon Alexander Jolles am 15. Dezember bekannt gab, Ende Januar geschehen. Zudem soll laut Mauch der Dokumentationsraum im Kunsthaus überarbeitet werden. Schliesslich soll Ende Februar eine externe Evaluation der Provenienzforschung der Bührle-Stiftung starten. Für sie steht mindestens ein Teil der 500’000 Franken zur Verfügung, die der Zürcher Gemeinderat im Dezember für historische Forschung und Provenienzforschung ins Budget 2022 eingestellt hat.
— Welchen Einfluss hat Corine Mauch im Kunsthaus?
Sie sitzt im Vorstand der Kunstgesellschaft. Diese ist ein Verein mit über 20’000 Mitgliedern und einem Vorstand, der zurzeit interimistisch von Conrad Ulrich geleitet wird. Die Gesellschaft ist also keine staatliche Institution. Der Staat ist aber der grösste Geldgeber des Kunsthauses und hat mit 6 von 11 Vertretern im Vorstand der Kunstgesellschaft eine Mehrheit. Der politische Einfluss der Stadtpräsidentin in diesem Gremium ist gross. Ebenso gross ist Mauchs Verantwortung für strategische und auch wichtige operative Entscheidungen des Kunsthauses rund um die Bührle-Stiftung.