Belltower News.
„Teilen, teilen, teilen“ schreit Ignaz Bearth regelmäßig in die Kamera während seiner Livestreams, ein hyperaktiver Zusammenschnitt aus fragwürdigen Quellen, Fake News und Propaganda. In einem improvisierten Studio blendet Bearth Videos, Beiträge oder Interviews ein, während er meist mit Sonnenbrille und ausgestattete von „Peripetie“, einem neurechten Modelabel, im Vordergrund sitzt. Nach Stationen in rechtsextremen Parteien und Skandalen ist der Schweizer mittlerweile angekommen: Mit seinem Telegramkanal ist er zum gefragten Gesprächspartner und Multiplikator für die rechtsoffene deutsche Verschwörungsszene geworden.
Bearth hat eine Parteikarriere hinter sich, die ihn durch das Spektrum der Schweizer Rechtsaußen-Parteien geführt hat. Zwischen 2008 und 2012 war er Mitglied der Schweizer Volkspartei (SVP): Rechtspopulist:innen, die in der Schweizer Bundesversammlung seit Jahren die größte Fraktion bilden. 2012 gründete er die Direktdemokratische Partei Schweiz (DPS) und wurde zu ihrem ersten Präsidenten. Besonders erfolgreich war die Kleinstpartei allerdings nicht. Bei den Nationalratswahlen 2015 erhielt sie lediglich 0,04 Prozent der Stimmen. Die DPS fusionierte 2017 mit der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS), gegründet wurde sie im Jahr 2000, 2001 wurde die Gruppierung vom Schweizer Bundesamt für Polizei als rechtsextrem eingestuft. Die PNOS war vor allem zu ihrer Gründungszeit eine Neonazi-Partei, die sich stark auf die Frontenbewegung und deren Partei Nationale Front beruft, das Schweizer Pendant zum Nationalsozialismus. Die PNOS benutzt weiterhin Symbolik und Slogans der Schweizer Nazis. Das Parteiprogramm wurde unter anderem von Bernhard Schaub geschrieben, Holocaustleugner und Gründer der mittlerweile angeblich aufgelösten „Europäischen Aktion“. Die Gruppierung sollte europäische Rechtsextreme vernetzen. Seit Schaubs Austritt aus der PNOS versucht die Partei sich als gemäßigter darzustellen, das scheint aber eher Fassade zu sein, das zeigt sich an der Debatte um die Umbenennung 2020, zur Diskussion gestellt wurden unter anderem die Namen „Völkisches Erwachen“, „Sozailnationale Aktion“ oder ganz direkt „Partei Nationaler Sozialisten“. Internationale Vernetzung bleibt dabei Teil der Strategie, dokumentiert ist in diesem Artikel des Tagesanzeigers zum Beispiel ein Besuch des deutschen rechtsextremen Aktivisten und Holocaustleugners Nikolai Nerling, der als „Volkslehrer“ Videos veröffentlicht und einen Telegramkanal betreibt.
Die internationale Karriere von Bearth begann 2015 mit der Gründung des Schweizer Ablegers von Pegida in Zürich, nur wenige Tage danach trat Bearth bereits wieder als Sprecher zurück. Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelte damals gegen den Aktivisten wegen Beleidigung eines fremden Staates. Auf Facebook hatte Bearth Angela Merkel und die Bundesregierung als die „wahren Nazis in Berlin“ bezeichnet. Er trat bei mehreren Pegida Veranstaltung in Deutschland unter anderem auch in Dresden auf. Schon damals hatte Bearth eine relativ große Gefolgschaft in den sozialen Medien. Anfang 2015 hatte der Schweizer 30.600 Likes auf seiner Facebookseite gesammelt. Das Online-Magazin VICE deckte auf, dass ein Großteil dieser Likes nicht aus der Schweiz oder dem deutschsprachigen Ausland, sondern vielmehr aus Indien und Serbien stammten. Der Vorwurf gekaufter Likes stand im Raum, den Bearth zunächst nicht ausräumen konnte. Im Laufe der Zeit wuchs seine Anhängerschaft auf der Plattform allerdings trotzdem weiter. Im September 2017 waren es schließlich offenbar mehr als 173.000 Likes. Als Bearth der Grünen-Politikerin Renate Künast eine Zitat in den Mund gelegt hatte, nachdem Sympathien für den Mörder eines 19-jährigen Studentin aus Freiburg angebracht seien, wurde sein Facebook-Account 2017 gelöscht.
Mehrere Punkte die sich in seiner Biographie angedeutet haben, sind heute noch viel sichtbarer geworden: internationale Vernetzung, der Hang zur Selbstdarstellung in den sozialen Medien und eine merkwürdige Obsession mit deutscher Politik. Aktiv ist Bearth aktuell vor allem auf den alternativen Plattformen, aber auch auf YouTube betreibt er weiterhin einen Kanal mit über 60.000 Abonnent:innen. Auf Telegram folgen ihm fast 35.000 Subscriber:innen. Dazu ist der Schweizer auf der russischen Facebook-Alternative VK und anderen kleineren Netzwerken zu finden. Sein Account auf Dlive, einem Streaming-Anbieter, wurde offenbar kürzlich gelöscht. Abrufbar sind in der Regel nur kurze Videos, die er auf anderen Kanälen geteilt hat. Mit der Wahrheit nimmt es Bearth dabei nicht so genau. Immer wieder teilt er aus dem Zusammenhang gerissene Videos. Kürzlich etwa eines auf dem französische Polizist:innen zu sehen sind, die sich angeblich mit Protesten gegen die Impfpflicht solidarisieren. Nur ein Klick reicht aus, um zu erkennen, dass es sich dabei um alte Aufnahmen handelt, die nichts mit den aktuellen Demonstrationen zu tun hat. Seine Fans interessiert das allerdings nicht.
Bearths Hauptgeschäft sind Livestreams, die nach der Ausstrahlung praktisch nicht mehr auffindbar sind. Fast täglich gibt es zwei davon, die Themen sind dabei divers, meist geht es um deutsche Politik und die Corona-Pandemie. Dabei begleitet er vor allem auch Demos aus dem Querdenken-Umfeld und präsentiert in seiner Sendung unterschiedliche Livestreams von Teilnehmenden: Immer extrem aufgeregt und mit viel Effekthascherei. Auch hier gibt es keine Einordnung oder gar einen Faktencheck. Bearth teilt alles, was ihm unter die Finger kommt, egal ob echt oder Desinformation. Wichtig ist einzig und allein Stimmungsmache gegen Regierung, demokratische Politiker:innen und die Corona-Politik. Aktuell geht es passend zum vorherrschenden Diskurs in der „Querdenken“-Szene vor allem gegen angebliche Polizeibrutalität gegen Querdenker:innen. Im Livestream zur Demo vom 1. August 2021 beschimpfte er Polizist:innen als „feige kleine Ratten“ und „brutale Psychopathen“ und droht „Wir werden keine vergessen“. Damit hat offenbar nicht einmal die Führungsriege der Querdenker:innen Probleme, Michael Ballweg war bereits zu Gast bei dem Schweizer Rechtsextremen, genauso wie „Schwindelarzt“ Bodo Schiffmann, neben anderem Personal der Verschwörungsfreunde.
Offenbar wird Bearth, der, wenn es nicht gerade um die Pandemie geht, auch immer wieder gegen Geflüchtete hetzt, bald selbst zum Exilanten. Im Juli 2021 hatte er angekündigt, die Schweiz in Richtung Ungarn zu verlassen. Mit Ungarn verbindet Bearth nicht nur die Bewunderung für den autoritären Machthaber Viktor Orban, schon 2013 hatte er im Wahlkampf des osteuropäischen Landes für die rechtsextreme Partei Jobbik geworben und war danach von einem Vertreter nach Ungarn eingeladen worden. In einem Interview mit dem rechtsextremen österreichischen Webmagazin „Info Direkt“ zu seiner Auswanderung spult Bearth wie am Fließband rechtsextreme und verschwörungsideologische Phrasen ab. Da ist vom „tiefen Staat“ die Rede, der ihn unterdrückt, von seiner „systematischen Diskreditierung“ durch die Mainstreammedien, und seinem neuen Ziel, der „Verteidigung der ungarischen Nation und Kultur“. Dazu will er „Netzwerke schaffen in Ungarn, die im Sinne aller Patrioten sind“ und dazu eng mit der Orban-Regierung zusammenarbeiten. Seine Lieblingsfeindin vergisst er aber nicht, denn es geht ihm weiter darum das angebliche „Merkel-Regime“ zu schwächen.
Bearth ist nur einer von vielen rechtsextremen und rechtsalternativen Medienmacher:innen, die demokratiefeindliche Narrative und Verschwörungserzählungen verbreiten. Aber er ist ein wichtiger Multiplikator und eines der Verbindungsglieder zwischen Rechtsaußen und den Verschwörungsgläubigen rund um „Querdenken“. Wie so oft ignorieren oder tolerieren sowohl die Köpfe der Bewegung, als auch ihre Gefolgschaft die Verbindungen zum Rechtsextremismus.