Tages-Anzeiger.
Abstimmungs-Tweet der SVP. Die Partei hat am Freitag in den sozialen Medien ein Bild des Holocaust-Mahnmals in Berlin gepostet – symbolisch für die zubetonierte Schweiz. Der Parteisekretär nimmt die Schuld auf sich.
«Zu viel ist zu viel», lautet die Nachricht des Tweets der SVP Kanton Zürich. Darunter ein Bild. Darauf steht: «Mit einem Ja zur Begrenzungsinitiative wird die Schweiz nicht weiter zubetoniert!» Problematisch ist der Hintergrund: ein Schwarzweissbild des Holocaust-Mahnmals in Berlin. Der Tweet wurde am Freitagmorgen abgesetzt und inzwischen wieder gelöscht.
Heftige Reaktionen folgten prompt. Der Basler SP-Politiker Marcel Colomb empörte sich auf Twitter: «Die Zürcher SVP wirbt mit einer Herablassung des Holocaust-Mahnmals Berlin.» Mehr müsse man eigentlich über die Partei und die Initiative nicht wissen, fügte er an. Andere fragten sich, ob nun der letzte Funken Anstand die Partei verlassen habe. Eine Twitterin forderte eine Entschuldigung: «Und hoffentlich eine verdammt gute.»
Diese Entschuldigung folgte rasch. Parteisekretär Martin Suter sagt, es sei ein Fehler unterlaufen. «Wir entschuldigen uns in aller Form. Wir wollten keine Gefühle verletzen.» Die Person, die die Werbung gestaltet habe, hätte das Mahnmal nicht als solches erkannt. Auch Suter, der selbst den Beitrag geprüft und freigegeben hat, beteuert, er habe nicht realisiert, dass der Hintergrund das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas zeige. «Wir sind sehr sensibilisiert auf dieses Thema. Wir wollten damit sicher nicht provozieren und das Sommerloch in den Medien füllen.»
Zanetti ist sauer
Die Webgemeinde spekuliert derweil, woher die SVP das Bild haben könnte – und ob sie tatsächlich nicht auf die Idee hätte kommen können, dass es sich um das Mahnmal handelt. Verschieden Screenshots von Bildarchiven werden herumgereicht, überall sind Vermerke wie «Mahnmal» oder «Holocaust» zu lesen.
Suter sagt, das Bild stamme aus dem Archiv einer Adobe-Anwendung und wurde unter der Kategorie «Beton» angezeigt. Der Post sei auf dem Sekretariat erstellt worden. Die Initiativ-Werbung habe er vor 14 Tagen abgesegnet – als Teil einer Serie. Es sei mehr auf Rechtschreibung geachtet worden als auf den Bildinhalt. «Ich trage als Geschäftsführer die volle Verantwortung», sagt er.
«Die Verwendung dieses Bildes in diesem Kontext ist selbstverständlich völlig deplatziert», schreibt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, in einer Stellungnahme. Und: «Es ist gut, dass die SVP Kanton Zürich den Fehler offenbar schnell eingesehen und sich entschuldigt hat.»
Selbst SVP-intern verurteilt man das Sujet. Der frühere Zürcher SVP-Nationalrat Claudio Zanetti hat wiederholt die Bildsprache der Partei kritisiert. Am Telefon ist er erzürnt, spricht von Dingen, die man einfach wissen müsse. Er verlangt interne Analysen und Konsequenzen. «Ich kann Ihnen aber nichts Zitierfähiges sagen, damit würde ich mich strafbar machen», sagt er. Nur so viel: «Es hätte unglaubliche Konsequenzen, wenn man derartige Fehler einfach mit Unwissenheit entschuldigen könnte.»
Benjamin Fischer, Präsident der Zürcher SVP, will den Aussagen von Sekretär Suter nichts anfügen.
Ratten, Schafe und Messer
Die SVP oder ihre Exponenten haben in sozialen Medien und Abstimmungskämpfen wiederholt für Empörung gesorgt. Prominentes Beispiel ist das eines ehemaligen Zürcher Lokalpolitikers, der auf Twitter schrieb: «Vielleicht brauchen wir wieder eine Kristallnacht… diesmal für Moscheen.» Und weiter soll es geheissen haben: «…damit die Regierung endlich aufwacht.» Der Mann wurde – vom Bundesgericht bestätigt – wegen Rassendiskriminierung rechtskräftig verurteilt.
Mit einer Verurteilung endete auch die SVP-Plakatkampagne mit dem Titel «Kosovaren schlitzen Schweizer auf». Das Inserat verstiess gegen die Antirassismus-Strafnorm.
Die SVP provoziert oft und oft auch bewusst. Auf Bildern fressen Würmer Äpfel mit Schweizer Kreuz, Gegner werden als Ratten oder schwarze Schafe dargestellt, als Ungeziefer bezeichnet. Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus schrieb dazu: «Vor dem Hintergrund der Massenmorde, die unter Hitler und Stalin als ‹Vernichtung von Ungeziefer› galten, wecken SVP-Plakate, auf denen Gegner als Ratten und Raben abgebildet werden, schlechte Erinnerungen.»
«Wichtig ist, welche Lehren die Partei zieht»
Mahnmal-Tweet. Die Zürcher SVP habe rasch und richtig reagiert, sagt SIG-Präsident Herbert Winter.
Darf der SVP so ein Fehler unterlaufen?
Die SVP Kanton Zürich hat die Kritik innert sehr kurzer Zeit aufgenommen und den Fehler erkannt. Es ist offensichtlich, dass der Tweet den Beteiligten sehr unangenehm ist. Die Entschuldigung folgte entsprechend umgehend. Es geht jetzt nicht darum, ob der Partei so ein Fehler unterlaufen darf. Vielmehr passiert so etwas, wenn man sich nicht ausreichend Zeit für die Überprüfung und Verifizierung von Inhalten und eben auch Bildern im Netz nimmt. Das betrifft alle Internetnutzer und mahnt uns einmal mehr, sich vorsichtig im Netz zu bewegen.
Muss der Vorfall personelle Konsequenzen haben?
Nein.
Hat die Zürcher SVP also richtig reagiert?
Im Grundsatz ja. Es wird nun trotzdem wichtig sein, welche Lehren die Partei aus diesem Fall zieht.
Das Holocaust-Mahnmal in Berlin ist eines der bekanntesten Denkmäler der Welt. Müsste man das nicht kennen?
Es wäre sehr wünschenswert, wenn es nicht nur alle kennen, sondern sich auch der Umstände und der Geschichte hinter diesem Mahnmal bewusst wären. Leider ist dem heutzutage nicht mehr so.
Ist das von der SVP veröffentlichte Bild also auch Ausdruck einer fehlenden Erinnerungskultur?
Es ginge zu weit, in diesen einen Fehler so viel hineinzuinterpretieren. Es ist aber so, dass das Wissen um Ausmass und Entwicklung des Holocaust mit fortschreitendem zeitlichem Abstand mehr und mehr abnimmt. Es gibt junge Menschen, die die Schule abschliessen und noch nie etwas vom Holocaust gehört haben. Das ist dann verheerend, wenn diese Geschichte uminterpretiert wird, Verschwörungstheorien dazu zunehmen und diese Verbrechen verharmlost oder gar verleugnet werden.
Das Mahnmal sorgt immer wieder für Kontroversen, weil Touristinnen und Touristen etwa Selfies davor machen. Ist das problematisch?
Von der Problematik von Selfies und Selbstinszenierung ist nicht nur dieses Mahnmal betroffen. Das ist leider mittlerweile ein weltweites Phänomen. Man kann sagen, dass es bei denjenigen, die solche Selfies inszenieren, sicher an Wissen, Einordnung und Demut fehlt. Es ist aber auch eine gesellschaftliche Aufgabe, dieses Wissen über den Holocaust jungen Menschen überhaupt zu vermitteln.
Hannes Weber
Herbert Winter Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Das Interview wurde schriftlich geführt.