Zürcher Oberländer.
Die Zürcher SVP hat auf sozialen Medien mit einem Holocaust-Mahnmal für die Begrenzungsinitiative geworben. Dafür muss die Partei Kritik einstecken – sogar aus den eigenen Reihen.
Das Fettnäpfchen, in das die Zürcher SVP am Freitagmorgen getreten ist, entspricht wohl eher einer Fettwanne. Dass ihre Wahlkampagnen provozieren, ist nicht neu. Auch nicht, dass man sich mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert sieht. Dieses Mal hat die Partei den Bogen selbst für einige ihrer eigenen Mitglieder überspannt. Alt-Nationalrat Claudio Zanetti aus Gossau spricht von einem «grossen Fehler». Er befürchtet einen folgenschweren Image-Schaden für seine Partei.
Im Fokus steht ein Post, den die SVP Kanton Zürich über ihre Social-Media-Kanäle verbreitet hat. Im Gegensatz zu früheren Plakaten ist dieses Mal nicht die Textbotschaft das Problem, sondern das Bild im Hintergrund. Die Aufschrift ist unproblematisch: «Mit einem Ja zur Begrenzungsinitiative wird die Schweiz nicht zubetoniert.» Die Betonklötze, mit denen die Botschaft illustriert werden sollte, sind aber nicht irgendwelche. Sie gehören zum Mahnmal in Berlin, das an den Massenmord von sechs Millionen Juden in Europa erinnert.
Von drei Personen überprüft
Richtig bekannt wurde das 2005 errichtete Mahnmal im Zusammenhang mit einer Rede des rechtsextremen deutschen Politikers Björn Höcke (Alternative für Deutschland), der es in einer äusserst grenzwertigen Rede als «Denkmal der Schande» bezeichnet hatte und dafür heftig kritisiert wurde. Spätestens seit da ist das Mahnmal, mit den auffälligen grauen Stelen, international bekannt. In den Medien wird jetzt von der «Geschichtsvergessenheit» der SVP gesprochen. Auch Zanetti findet: «Über dieses Denkmal wurde so viel geschrieben und diskutiert, dass man seine Kenntnis voraussetzen kann. Und sonst muss man sich erkundigen.»
Parteisekretär Martin Suter aus Rüti hat den Post freigegeben. «Es ist absolut unmöglich, was passiert ist», sagt er nun im Nachhinein. «Hier hat unser interner Prozess versagt.» Suter sagt, das Bild stamme aus einem Online-Fotoarchiv und wurde unter dem Suchbegriff «Beton» angezeigt. Die Werbung fürdie Begrenzungsinitiative, über die die Stimmbevölkerung am 27. September abstimmen wird, sei Teil einer Serie gewesen. Drei Personen hätten die Sujets überprüft, doch niemand habe das Mahnmal als solches erkannt. «Leider haben wir uns dabei zu stark auf den Text und zu wenig auf das Bild fokussiert», sagt Martin Suter. Der Rütner weist jedoch den Vorwurf zurück, dass man sich parteiintern zu wenig mit Geschichte auseinandersetze. Auch persönlich setze er sich mit dem Holocaust auseinander: «Vergangenes Jahr habe ich mit meiner Familie das ehemalige Konzentrationslager Struthof im Elsass besucht.» Und er habe diverse Mahnmale aufgesucht, dasjenige in Berlin allerdings nicht.
Kantonsrat stützt Suter
Auch die SVP-Aushängeschilder der Region haben den Vorfall registriert. Der Dübendorfer Kantonsrat Orlando Wyss stellt sich hinter Parteisekretär Suter. Er ist überzeugt, dass dieser sich der Bedeutung des Bildes nicht bewusst gewesen ist: «Ich kannte dieses Denkmal auch nicht und glaube ebenso wenig, dass es in der Schweiz viele Leute kennen.»
Zum Vorwurf, dass die Begründung für den «Lapsus», wie es die SVP ausdrückt, etwas zweifelhaft sei, sagt er: «Entweder man glaubt es oder eben nicht.» Er geht davon aus, dass der Fall innerhalb der Partei nur begrenzt für Kritik sorgen wird. Seiner Meinung nach ist die Sache jetzt auch vom Tisch: «Suter hat den Fehler korrigiert und sich angemessen entschuldigt.»
Kritik trotz Entschuldigung
Parteisekretär Suter betont, dass die SVP mit dem Post nicht provozieren wollte. «Mit diesem Thema macht man keine Kampagne.» Der Post sei morgens um sechs Uhr in den ozialen Medien aufgeschaltet worden. Eine halbe Stunde später wurde er wieder entfernt. Die Partei rechtfertigte sich schriftlich. «Es ist uns nicht bewusst gewesen, worum es sich auf dem verwendeten Symbolbild handelt.» Und: «Wir entschuldigen uns bei allen Menschen, deren Gefühle wir mit diesem Fehler verletzt haben», schrieb die SVP Zürich.
Trotz Entschuldigung, die Kritik folgte in den sozialen Netzwerken auf dem Fusse. So beispielsweise vom Ustermer Gemeinderat Florin Schütz (SP). «Ich war schockiert, als ich den Post auf Twitter sah.» Er wolle der SVP zwar keine böswilligen Absichten unterstellen, aber der Vorfall sei sehr bezeichnend dafür, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte innerhalb der Partei «wohl nicht so stark» sei.
Der Ustermer studiert selbst Geschichte und ist für die Online-Kampagnen der SP Schweiz zuständig. Ein Bild sei jeweils nicht ohne Erklärung in einer Datenbank abgespeichert, sagt Schütz. «Deshalb ist es das A und O, dass man im Vornherein abklärt, woher das Bild stammt.» Dass sich mehrere Leute den Post vor der Veröffentlichung angeschaut und anscheinend niemand den Fehler bemerkt haben soll, ist für Schütz schwer nachvollziehbar. Aber es passe zur «Art und Weise», wie die SVP politisiere, sagt er. «Ich denke schon, dass man der Partei starke Berührungspunkte zur AfD ankreiden kann.»
Suter nimmt Schuld auf sich
SVP-Parteisekretär Martin Suter will auf die Kritik seiner politischen Gegner nicht eingehen. «Wir würden in einem solchen Fall auch draufhauen», sagt er. Vielmehr wolle er aus dem Vorfall Lehren ziehen und die internen Prozesse anpassen. «Wir müssen die Bildherkunft künftig genauer anschauen.»
Ob auf den Vorfall personelle Konsequenzen folgen, kann Martin Suter nicht sagen. «Klar ist, dass ich fürs Sekretariat verantwortlich bin und die Kampagne auch verantworten muss. Allfällige Konsequenzen würden meine Person betreffen und müssten vom Kantonalvorstand ergriffen werden.» Präsident Benjamin Fischer war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Er weilt in den Ferien.
Nicht der erste Vorfall
Es handelt sich nicht um den ersten solchen Vorfall. In der Vergangenheit provozierte die SVP immer wieder mit Bildern in ihren Kampagnen, für die sie in der Öffentlichkeit stark kritisiert wurden. Jüngstes Beispiel istein Bild eines Apfels mit einem Schweizerkreuz, der von Würmern zerfressen wird. Und dane-ben die Frage: «Sollen Linke und Nette die Schweiz zerstören?» Oft wurde der Partei wegen ihrer Plakate eine rassistische Gesinnung vorgeworfen. Bekanntestes Beispiel ist das Plakat «Kosovaren schlitzen Schweizer auf», für das die Verantwortlichen vom Bundesgericht wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurden. Und manchmal kokettiert man sogar mit dem ganz rechten Rand der Politlandschaft.
Für einen Aufschrei sorgte etwa ein Wahlkampfvideo aus dem Jahr 2015, in dem eine junge Frau um SVP-Grössen herumtanzt. Auf ihrem T-Shirt steht dieNummer 88 – eine Zahl, die in der Neonazi-Szene «Heil Hitler» bedeutet. Als die Partei aufdas umstrittene Symbol hingewiesen wurde, hiess es,der Zusammenhang sei den Verantwortlichen nicht bekannt gewesen. (lue)