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Die «Basel Nazifrei»-Prozesslawine hat ein politisches Nachspiel. Die Aufsichtsbehörde der Staatsanwaltschaft kritisiert die Prioritätensetzung der Strafverfolgungsbehörde scharf.
Darum gehts
- Die Aufsichtskommission der Basler Staatsanwaltschaft geht mit der Behörde hart ins Gericht.
- Bei der Aufarbeitung der Vorfälle rund um die «Basel Nazifrei»-Kundgebung habe sie Rechtsextreme nicht mit der gleichen Dringlichkeit belangt wie die linken Gegendemonstranten.
- Ein Verfahren wegen Rassendiskriminierung habe sie nicht einmal von sich aus angestrengt, obwohl ein Offizialdelikt vorgelegen sei.
Gegen Teilnehmende der nicht bewilligten «Basel Nazifrei»-Kundgebung im November 2018 hat die Basler Staatsanwaltschaft inzwischen über 60 Verfahren eröffnet. Bei der Demo kam es damals zu Ausschreitungen. Dutzende wurden vom Basler Strafgericht schon verurteilt und die Prozesslawine rollt immer noch. Bis die Staatsanwaltschaft aber gegen den Organisator der damals bewilligten Kundgebung der rechtsextremen Pnos wegen Rassendiskriminierung eröffnete, dauerte es Jahre. Obwohl der Basler Rechtsextremist Tobias Steiger seine antisemitische Rede in Gegenwart von Dutzenden Polizisten machte. Dafür wurde die Staatsanwaltschaft vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund und dem emeritierten Strafrechtsprofessor Mark Pieth schon scharf kritisiert.
Für die Handhabung des Falls kassiert die Staatsanwaltschaft von ihrer Aufsichtsbehörde nun eine Rüge. Die Staatsanwaltschaft habe ein Medieninteresse an dem Fall als «nicht gegeben» gesehen und das Geschädigteninteresse als «gering» eingestuft, zitiert die «bz Basel» aus dem Bericht. Dies obwohl der Israelitische Gemeindebund Strafanzeige einreichte und mehrfach Druck gemacht habe. Der zuständige Staatsanwalt habe «die Brisanz des Falles für die öffentliche Wahrnehmung völlig verkannt», so die Aufsichtskommission.
Damit nicht genug. Die Staatsanwaltschaft habe sich selbst in ungünstiges Licht gebracht, weil sie die Gegendemonstranten mit grossem Aufwand und in einer grossen Anzahl von Einzelverfahren zur Rechenschaft ziehe und harte Strafen fordere. Gleichzeitig verfolge sie die Rechtsextremen «objektiv nicht mit derselben Dringlichkeit», heisst es weiter. Es sei zumindest «erklärungsbedürftig», warum weder Kantonspolizei noch der Nachrichtendienst auf die Idee gekommen seien, ein Verfahren wegen Rassendiskriminierung anzustrengen, obwohl es sich dabei um ein Offizialdelikt handle.
Prioritätensetzung mit Regierung überprüfen
Die Rüge der Aufsichtskommission an die Staatsanwaltschaft schliesst mit der Empfehlung, künftig die Prioritätensetzung bei der Verfolgung von Demonstrationsteilnehmenden mit dem Regierungsrat, zu überprüfen. Jüngst macht die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang wieder von sich reden, weil sie eine Strafuntersuchung gegen Nationalrätin Sibel Arslan führen wollte. Die Politikerin wollte am 14. Juni 2020 zwischen der Polizei und Teilnehmerinnen einer nicht bewilligten Frauenstreik-Kundgebung schlichten. Dafür darf sie nicht belangt werden, befand vergangene Woche die Immunitätskommission des Nationalrats.