«Verbrechen: Hautfarbe». Polizeilicher Rassismus ist auch in der Schweiz an der Tagesordnung

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Allen Dementis der Behörden zum Trotz: Auch in der Schweiz sind Menschen mit dunklerer Haut­farbe Übergriffen und Schikanen ausgesetzt.

28. Oktober 2009, Zürich: Wilson A. ist mit einem Kollegen auf dem Heimweg. Sie werden von Polizisten kontrolliert und aus dem Tram geholt. Die Polizisten sprayen Wilson A. Pfefferspray ins Gesicht, werfen ihn zu Boden, schlagen ihn. Ein Polizist sagt: «Scheissafrikaner, geh zurück nach Afrika!» Wilson A. erklärt den Beamten, dass er einen Herzschrittmacher trage. Nach der ­«Polizeikontrolle» muss Wilson A. notfallmässig ins Spital. Die Ärztinnen und Ärzte beschreiben einen gebrochenen Lendenwirbel, Prellungen im Gesicht und am Hals, eine Zerrung am Oberschenkel und eine Meniskusverletzung. Die Zürcher Justiz untersucht halbherzig, stellt das Verfahren mehrere Male ein. Das Bundesgericht zwang die Staatsanwaltschaft dann zur Anklageerhebung. Neun Jahre nach dem ­Vorfall sprach das Bezirksgericht Zürich alle drei Polizisten frei. Der Fall ist vor dem Obergericht hängig. Die Beamten sind weiter im Dienst.

28. Februar 2018, Lausanne: Sechs Polizisten packen Mike Ben Peter, traktieren ihn mit den Knien, sprayen ihm Pfefferspray ins Gesicht, werfen ihn bäuchlings zu ­Boden. Fünf Beamte knien minutenlang auf seinen Rücken und ziehen ihm die Beine hoch. Mike Ben Peter erleidet einen Herzstillstand und stirbt 12 Stunden später im Spital. Die Polizei nannte das «eine Präventivkontrolle gegen den Strassendeal». Die Autopsie ergab: Mike Ben Peter hatte keine Drogen im Blut. Hingegen waren sein Körper und seine Genitalien von Blutergüssen übersät. Die Beamten sind immer noch im Dienst. Die Untersuchung schleppt sich hin, ein Prozesstermin ist noch nicht angesetzt.

Das sind bloss zwei besonders drastische Fälle von Polizeiübergriffen und Schikanen gegen Menschen, deren Hautfarbe dunkler ist. Racial Profiling, also Polizeikontrollen alleine aufgrund der Hautfarbe, ist in der Schweiz an der Tagesordnung. Selbstverständlich dementieren das sämtliche Polizeikorps. Einige haben sich sogar schöne Leitbilder gegeben, in denen Racial Profiling abgelehnt wird. Allerdings nützen schöne Worte herzlich wenig, weil die Einsatzdoktrin immer auch noch einen Gummiparagraphen hat. «Allgemeine polizeiliche Erfahrung» zum Beispiel. Und die «allgemeine Erfahrung» vieler Beamten besteht darin, dass dunkelhäutige Menschen «kriminell» seien.

IMMER IN ANGST

«Farbige» werden mehr kontrolliert als «Weisse». Und die Kon­trollen sind ruppiger. Dabei spielt es keine Rolle, wie sie angezogen sind oder wie sie sich verhalten. So erwischte es am 27. Mai 2015 den FCZ-Fussballer Yassine ­Chikhaoui auf der Zürcher Bahnhof­strasse. Er war zusammen mit seiner Frau am Shoppen. Unvermittelt treten Polizisten auf den 28jährigen zu, werfen ihn bäuchlings zu Boden – vor den Augen seiner Frau und von Passanten. Die Polizisten legen ihn in Handschellen und bringen ihn auf die Polizeiwache. Als die Beamten merken, wen sie da «abgezügelt» haben, sagen sie: «Alles ein Irrtum, wir dachten, er sei ein Taschendieb.» Später wird die Polizei festhalten: «Gestützt auf die Rechtsgrundlagen sind die Polizisten korrekt vorgegangen.»

JUSTIZ-KUMPANEI

Die wenigsten Polizeiübergriffe kommen vor ein Gericht. Die meisten Betroffenen haben Angst vor weiteren Nachteilen, oder es fehlen ihnen die finanziellen Mittel. Und wenn dann doch einmal eine Untersuchung geführt wird, haben es die Staatsanwaltschaften erstens nicht eilig, und zweitens ermitteln sie lieber gegen die Opfer als gegen die Täterinnen und Täter. Konsequenzen müssen deshalb die wenigsten Polizistinnen und Polizisten fürchten. Und: Sie bleiben auch während der Untersuchungen im Dienst. So wie in den Fällen von Wilson A. und Mike Ben Peter.


Rassismusopfer erzählen: «Ich frage mich: Warum passiert das alles nur mir?»

Eine sehr gute Übersicht über institutionellen Rassismus in der Schweiz ­bietet die vergangenes Jahr von der «Kollaborativen Forschungsgruppe Racial Profiling» veröffentlichte Studie «Racial Profiling – Erfahrung. Wirkung. Wider­stand». Sie enthält auch zahlreiche Erlebnisberichte. work bringt kurze Auszüge. Die Studie ist von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ­unterstützt worden und kann hier gratis herunter­geladen werden: rebrand.ly/racial-profiling.

«Warum nur ich? Warum passiert das alles nur mir? Du fühlst dich so minderwertig, wenn die Polizei dich kontrolliert! Ich frage mich: Wieso ­immer ich? Steht etwas auf meiner Stirn, dass man mich verhaften muss?»
Ali Balewa *, algerischer Sans-papiers

«Allein die ­marokkanische ­Herkunft erweckt den Eindruck, dass du ein Dieb bist.»
Tahar Baznani *, Asylsuchender

«Und dann im Zug – ich musste schon früh alleine Zug fahren, weil ich eben in Thun zur Schule ­gegangen bin – haben die Kontrolleure mich irgend­wie auf eine Art und Weise nach dem Billett ­gefragt: ‹Und du, hast du ein ­Billett?› und so, und ich habe natürlich immer eins gehabt […], und dann war es oft so, dass ich einfach als erste kon­trolliert worden bin.»
Ebony Amer *, schwarze Schweizerin

«Wir bewegen uns wie normale Men­schen auf der Strasse, und sie kommen einfach zu uns und fragen nach unserem Ausweis. Der Grund ist unsere Hautfarbe.»
Cabaas Xasan *, seit acht ­Jahren in der Schweiz ­lebender Somalier

«Es ist nicht normal, dass man sich in dem Land, in dem man lebt, stets als Krimineller fühlen muss. Ich komme mir immer wieder vor, als wäre ich ein schlechter Mensch.»
Phil Steward *, schweizerisch-ghanaischer Doppelbürger

* Alle Namen zum Schutz der ­Interviewten geändert