Berner Zeitung.
Kommen Rechtsradikale erneut nach Bern, sieht Sicherheitsdirektor Reto Nause erhebliches Eskalationspotenzial. Folglich könnte die Stadt Corona-Demos wieder untersagen.
Auf den ersten Blick sieht es am Samstagnachmittag in Bern so aus, wie man es schon unzählige Male während der fast zwei Jahre andauernden Pandemie gesehen hat: Massnahmegegnerinnen und -gegner marschieren lautstark durch die Gassen, eng begleitet von der Polizei.
Doch etwas ist anders: Die Rädelsführer sind weder die Freiheitstrychler noch die Mitglieder der Protestbewegung Mass-Voll mit ihren violetten Flaggen. Stattdessen führen vermummte Rechtsradikale den Protestumzug an. Federführend ist dabei die Neonazigruppe Junge Tat.
Schon seit Beginn der Corona-Demos ist dokumentiert, dass vereinzelt Personen mit rechtsradikaler Gesinnung mitlaufen, allerdings eher versteckt in der Masse. Dass sie nun unverfroren an die Spitze drängen und per Megafon Parolen des Widerstands raushauen – das hat viele leer schlucken lassen. Und dies ausgerechnet in der linksten Stadt der Schweiz. Bis vor kurzem war das undenkbar.
Künftig könnten Konfrontationen drohen
Nun stellt sich die Frage: Bleibt es beim Einzelfall, oder ist es ein Dammbruch? Eine These, die für den Einzelfall spricht: Der rechtsradikalen Szene ist der Coup geglückt, einmal lautstark durch Bern zu marschieren. Davon wird sie – so diese These – eine Weile zehren und auf weitere Aktionen verzichten.
Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) will sich bei dieser Frage nicht auf die Äste wagen. Er sagt lediglich: «Es ist davon auszugehen, dass bei einem nächsten Mal die Möglichkeit zunimmt, dass es zu einer Konfrontation mit anderen Gruppierungen kommt.» Was er meint: Die in Bern ungleich grössere linksradikale Szene würde wohl stärker mobilisieren.
Sollten sich erneut rechtsextreme Gruppierungen wie die Junge Tat oder die Nationale Aktionsfront für eine Corona-Demo ankündigen, wäre die Ausgangslage also deutlich brenzliger. Aus diesem Grund könnte die Stadt an die Polizei die Losung herausgeben, aus Sicherheitsgründen jegliche Ansammlung zu einer Demo von Beginn weg zu unterbinden.
Aus «taktischen Gründen» will Reto Nause dieses Meccano zwar nicht bestätigen. Doch genau darauf scheint es hinauszulaufen, wenn er mit drohendem Unterton nachschiebt: «Die Stadt sowie die Kantonspolizei werden das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben und das Instrumentarium, das uns zur Verfügung steht, nutzen.»
Und schliesslich gabs dieses Szenario ja erst letzten Herbst. Weil die unbewilligten Kundgebungen der Massnahmekritiker damals kein Ende nahmen und die Stimmung stetig aufgeladener wurde, schob Nause einen Riegel. Die donnerstäglichen Ansammlungen wurden ab dann rigoros unterbunden.
Der Ball liegt bei der Politik
Der Politik kommt also die zentrale Rolle zu, um künftige Aufmärsche von Neonazis zu verhindern. Denn der Polizei sind ein Stück weit die Hände gebunden. Es seien bei der Samstagsdemo «keine strafrechtlich relevanten Sachverhalte» festgestellt worden, die «ein unmittelbares Einschreiten erlaubt oder erfordert hätten», hält die Kantonspolizei fest.
Auch die Tatsache, dass es sich um eine unbewilligte Demo handelte, änderte nichts daran. So legt die Stadt Bern diesbezüglich doch seit je eine ziemlich tolerante Haltung an den Tag. 2020 etwa waren 64 Prozent von insgesamt 270 Kundgebungen unbewilligt. In der Regel schreitet die Polizei erst ein, wenn es zu Sachbeschädigungen oder Gewalt kommt. Beides war am Samstag nicht der Fall.
Knifflig ist ein weiterer Punkt: Die rechtsradikalen Rädelsführer trugen am Samstag keine Nazisymbole, mit denen sie sich hätten strafbar machen können. Zudem müssen diverse Anforderungen erfüllt sein, dass es zu einer Verurteilung kommt. Denn anders als etwa Deutschland hat die Schweiz eine relativ lasche Gesetzgebung, wenn es um das öffentliche Zurschaustellen von Nazi-Symbolik geht.
Hier gilt: Eine Hakenkreuz-Flagge zeigen ist erlaubt, sofern man damit nur eine eigene politische Überzeugung zum Ausdruck bringen und nicht Propaganda betreiben will. Diese Praxis sorgt immer mal wieder für Empörung. So etwa 2014, als das Bundesgericht einen Mann freisprach, der zusammen mit anderen Neonazis auf dem Rütli zum Hitlergruss angesetzt hatte. Die Begründung: Obwohl Spaziergänger in der Nähe gewesen seien, fehle es am «werbenden Verhalten», das laut Gesetzgeber für den Akt des Verbreitens nötig sei.